Die Fußball-EM euphorisiert, schweißt zusammen, stärkt den Teamgeist. Warum sie auch das Herzinfarkt-Risiko steigern kann, erklärt Dr. Daniel Herzenstiel, Leitender Arzt für Kardiologie und Angiologie in der GRN-Klinik Eberbach. Der Spezialist für Sportkardiologie gibt Tipps zum Vorbeugen.
92 Minuten gebangt, muntere Fangesänge der Schweizer, die Deutsche Anhängerschaft betrübt, dann war der Raum fürs Tor endlich da: Der kurz zuvor eingewechselte Füllkrug mit dem 1:1 - diesmal kein Abseits – bringt die Wende zur Gruppenführung für Deutschland in der Fußball-EM 2024: Euphorie kommt in den Schwarz-Rot-Goldenen Fanrängen auf, die Schweiz schlottert. Für Deutschland ist die Zielvorgabe des Bundestrainers damit erreicht: Gegner im Achtelfinale wird Dänemark sein statt wie jetzt für die Schweiz als Zweiter der Gruppe B Italien.
Die Geschichte schreibt weitere spannende Fußball-Spiele, die das Herz tausender Fans schneller schlagen oder auch mal kurz aussetzen ließen: Das 1:0 nach Verlängerung 2014 gegen Argentinien war zum Beispiel so ein Spiel, das Deutschland zum Fußball-Weltmeister machte, vier Jahre später das überraschende Ausscheiden bereits in der Gruppenphase gegen Südkorea mit der Entscheidung im Elfmeter-Schießen.
Kein ungefährlicher Sport, erstaunlicher Weise auch für Fans: Studien belegen, dass während sportlicher Großereignisse wie der Fußball-EM vermehrt Menschen mit Herzinfarkt ins Krankenhaus kommen.
Wie kann etwas, was uns euphorisiert, zusammenschweißt, den Teamgeist stärkt wie die Fußball-EM und WM umgekehrt erhöhte Todesraten hervorrufen?
Dr. Daniel Herzenstiel: Erst mal zur Klarstellung: Großveranstaltungen wie die Fußball-Europameisterschaft sind „Eustress“, das heißt positiver Stress, unverzichtbar für uns als soziale Wesen. Nach den Entbehrungen durch die Corona-Pandemie (Disstress) sollten wir umso bewusster das „Sommermärchen EM 2024 in Deutschland“ gemeinsam genießen! Fußball vereint: unter Freunden, bei der Arbeit, in den Familien.
Tatsächlich belegen aber Studien, dass es während der Fußball-WM 2014 vermehrte Herzinfarkte gegeben hat, wobei wir uns die Betroffenen genauer ansehen sollten: Unter ihnen betrug das Durchschnittsalter 71 bis 72 Jahre, zwei Drittel waren männlich. Was bedeutet: Die meisten Betroffenen gehörten per se schon zur Gruppe mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko. Dass auch „positiver Stress“ (welcher durch die Ausscheidung von Stresshormonen verbunden ist mit Bluthochdruck, schnellem Puls und Engstellung der Gefäße) bei diesem Risiko-Klientel einen Infarkt (das heißt den akuten Verschluss eines Herzkranzgefäßes) provozieren kann, haben die Kollegen aus Mainz mit der Studie damals klar belegt.
Sind die GRN-Kliniken auf ein möglicherweise erhöhtes Herzinfarkt-Aufkommen während der jetzigen Fußball-EM vorbereitet?
Dr. Daniel Herzenstiel: Die Herzkatheterlabore unserer GRN-Kliniken sind für das erhöhte Herzinfarktaufkommen (aufgrund der oben genannten Erfahrungen von 2014) gewappnet und das Personal in den zentralen Notaufnahmen ist sensibilisiert.
Empfehlen Sie als Konsequenz aus der Studie, Fans sollten besser aufs Fußballschauen verzichten?
Dr. Daniel Herzenstiel: Nein. Wir können natürlich unbesorgt unsere Nationalmannschaft bewundern. Ich als Sportkardiologe wünsche mir jedoch sehnlichst, dass der Funke überspringt und uns alle hoffentlich zu vielen schönen Fußball- und sonstigen Sport-Einheiten vor und nach den Spielen inspiriert!
Sie meinen nicht nur Fußball schauen, sondern auch selber Sport machen? Warum ist Ihnen das wichtig?
Dr. Daniel Herzenstiel: Beim Mitfiebern während Fußball-EM-Spielen in der K.-o.-Phase wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, 90, 120, 180 Minuten lang. Dieses Cortisol können wir nach den hoffentlich uneingeschränkten Siegen der Deutschen beim ausgiebigen Jubeln und auf den Tischen tanzen wieder abbauen. Nicht aber bei einer uns lähmenden Niederlage. Eigentlich müsste jede/r dann zur Emotions-Regulation spazieren, joggen, kicken gehen, Entspannungstechniken machen, Lieblingsmusik hören, auf Alkohol und Rauchen verzichten… Wer macht das nach 'ner Klatsche schon?! Wichtig ist daher Sport zur Prävention, mindestens 3 Stunden pro Woche, optimaler Weise 45 Minuten an jedem Tag. Dabei werden regelmäßig Stresshormone abgebaut, und das Herz- und Kreislaufsystem ist dann abends während der Spiele „tiefenentspannt“, egal ob mit oder ohne Verlängerung.
Wer das alles befolgt, ist gewappnet?
Dr. Daniel Herzenstiel: Nicht ganz. Prävention bedeutet auch Vorsorgeuntersuchungen. Wir Kardiologen betreuen nicht nur Patienten mit bekannten Herzerkrankungen, sondern setzen uns auch dafür ein, sie gar nicht erst entstehen zu lassen: Jeder ambitionierte Sportler sollte sich deshalb konsequent beim Kardiologen durchchecken lassen, und jeder Breitensportler sollte Rücksprache mit dem Hausarzt halten über seine individuellen Risikofaktoren (Cholesterin, Bluthochdruck, Zucker, Rauchen, familiäre Vorbelastung). Außerdem dabei die Notwendigkeit eines Kardio-Check abklären.
Abschließend noch mal kurz und knapp: Was ist Ihre Kern-Message für die Fußball-EM 2024 und ein möglichst geringes Herzinfarkt-Risiko?
Dr. Daniel Herzenstiel: Am liebsten zitiere ich Franz Beckenbauer, der die Balance zwischen Eustress und sportlichem Workout als Teamchef bei der Fußball-WM 1990 perfekt auf den Punkt brachte mit den Worten: „Geht’s raus und spielt‘s Fußball.“
Weitere Informationen zur Kardiologie und Angiologie der GRN-Klinik Eberbach: https://www.grn.de/eberbach/klinik/innere-medizin/schwerpunkte/kardiologie