Wie fühlt es sich an, wenn man sich nicht mehr richtig bewegen, weniger hören oder sehen kann und im Krankenhaus auf Hilfe angewiesen ist? Elf Mitarbeiter konnten dies hautnah erleben, indem sie bei einer Krankenhaus-Rallye in die Rolle der Patienten schlüpften. Auf Initiative der Krankenschwestern und Demenz- und Delirbegleiterinnen Christiane Schneeweiß und Jasmin Schiebel lud die GRN-Klinik Weinheim ihre Mitarbeitenden zu diesem außergewöhnlichen Perspektivenwechsel ein.
„Diese Fortbildung ist eine Herzensangelegenheit von uns. Wir wollen damit das Bewusstsein und die Empathie unter uns Kollegen schärfen und dafür sensibilisieren, wie sich die Patienten fühlen“, erklärte Schneeweiß, „denn in unserem schnell getakteten Klinikalltag vergessen wir oft, wie unser Verhalten auf die Patienten wirkt und Stress auslöst.“
„Selbsterfahrung ist der beste Weg zum Lernen“, betonte Demenzbegleiterin Jasmin Schiebel zu Beginn der Rallye. Diese umfasste sechs unterschiedliche Stationen, die den Teilnehmern helfen sollten, die Herausforderungen und Einschränkungen der Patienten aus deren Perspektive zu erleben.
Unter dem Slogan „Anfassen ist einfach, berühren ist Kunst“ erfuhren Pflegekräfte, wie es sich für Patienten anfühlt, beim Umlagern im Bett komplett ignoriert zu werden. „Für mich war es extrem belastend und emotional überwältigend“ erzählte Altenpflegerin Semra.
An der zweiten Station ging es um das Thema „Wahrnehmung“. Dort wurden die Teilnehmer flach liegend und ohne Ansprache in einem Bett transportiert, um die Desorientierung und Angst der Patienten nachzuempfinden. „Man wusste nicht, wohin es ging, was sehr beängstigend war“, meinte eine Krankenschwester.
Um den Kollegen aufzuzeigen, mit welchen Herausforderungen Patienten mit krankheitsbedingten Einschränkungen umgehen müssen, konnten sie unterschiedliche Simulationen erleben. So wurde mithilfe einer speziellen Brille die Sehbeeinträchtigung des grauen Stars hergestellt. Wie schwierig es ist, sich im Alter zu bewegen, konnten die Teilnehmenden in einem Anzug nachempfinden, der die Motorik einschränkt. Auch ein COPD-Simulator kam zum Einsatz, bei dem die Mitarbeiter eine Atemnot wie sie die Lungenkrankheit auslöst, am eigenen Leib erfuhren. „Es war sehr beklemmend und angsteinflößend, kaum Luft zu bekommen“, beschrieb eine Teilnehmerin.
Die vierte Station zum Thema „Hören“ sollte mithilfe einer vierminütigen Geräuschkulisse aus dem Krankenhausalltag die Teilnehmer dafür sensibilisieren, wie Lärm zusätzlichen Stress bei den Patienten verursachen kann. „Vier Minuten lang diese Geräusche zu hören, war schon anstrengend. Für Patienten, die das 24 Stunden täglich erleben, muss das sehr belastend sein“, kommentierte eine Physiotherapeutin. „Das Schlimmste für die Patienten ist,“ ergänzte Christiane Schneeweis, „dass es für sie unmöglich ist, wegzuhören.“
Ein Blindenparcours, unterstützt vom Badischen Blinden- und Sehbehindertenverein Mannheim (BBSW), ließ die Teilnehmer die Herausforderungen von Sehbehinderungen nachempfinden. Eine Auszubildende bemerkte: „Es hilft sehr für den Umgang mit den Patienten, sich in die Situation älterer oder kranker Menschen hineinzuversetzen.“
Bei allen Teilnehmern hinterließ der Tag einen positiven Eindruck. „Mich berührt es sehr, wie intensiv diese Erfahrungen waren“, meinte eine Pflegerin und alle waren sich einig: „Wir müssen noch achtsamer werden und uns bewusst machen, wie es für die Betroffenen ist.“
Demenzbegleiterin Christiane Schneeweiß war dementsprechend sehr stolz und glücklich: „Wir konnten die Kollegen begeistert beobachten, mit wieviel Interesse und Aha-Effekten sie den Perspektivenwechsel erlebten“, und fügte hinzu: „So können wir ein wirklich mitfühlendes und patientenorientiertes Krankenhaus schaffen.“
Diese einzigartige Fortbildungsmethode hat das Potenzial, die Pflegequalität nachhaltig zu verbessern und die Patientenversorgung auf ein neues Level zu heben.