Der 2011 gegründete Verein Initiative Palliativ-Versorgung Sinsheim e.V. feiert coronabedingt sein zehnjähriges Bestehen mit Verspätung in diesem Jahr. Aus diesem Anlass fand die Lesung mit der Bestsellerautorin Gabriele von Arnim am 30. März in der Dr.-Sieber-Halle in Sinsheim statt. Die Lesung ist Teil der Veranstaltungsreihe zum Jubiläum mit dem Thema „Kommunikation am Lebensende“. In ihrem Buch „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ beschreibt von Arnim die Zeit an der Seite ihres Mannes, der durch mehrere Schlaganfälle für zehn Jahre zum Pflegefall wurde. Neben der Autorin sprach auch Dr. Damaris Köhler, Oberärztin der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin an der GRN-Klinik Sinsheim und Leiterin des PalliativCareTeams (PCT) Kraichgau. Gekonnt untermalt wurde die Veranstaltung mit Liedern von Richard Strauß durch Absolventinnen der Musikhochschule Mannheim.
„Was ist überhaupt Palliativmedizin?“ Diese Frage beantwortete Dr. Bärbel Kuhnert-Frey, Vorsitzende der Initiative, die mittlerweile 120 Mitglieder zählt, in ihren Begrüßungsworten. „Wenn die Krankheit eines Patienten so weit fortgeschritten ist, dass keine Aussicht mehr auf Heilung besteht, setzt die Palliativmedizin ein“, erklärt die Vorsitzende. Das Ziel sei es, den Patienten durch lindernde Maßnahmen möglichst viel Lebensqualität zu geben. Der Verein informiert kontinuierlich über Palliativversorgung sowie deren Möglichkeiten und unterstützt viele Projekte wie z. B. das 2013 gegründete PCT Kraichgau und die stationäre Palliativeinheit an der GRN-Klinik Sinsheim.
Im Anschluss an die Begrüßung berichtete Dr. Damaris Köhler in ihrem Beitrag „Erlebtes von der Palliativ-Versorgung in Sinsheim“ von unterschiedlichen berührenden Erlebnissen aus ihrem Alltag: „Es geht nicht nur um Angst und Tod. Die Palliativversorgung versucht alles in ihrer Macht Stehende, um die Zeit bis zu einem friedlichen und schmerzfreien Tod zu begleiten. Dazwischen ist aber ganz viel Leben“, sagt die Intensivmedizinerin. Da gibt es z. B. den „längsten Patienten“, der vor drei Jahren sterbend aus dem Krankenhaus entlassen wurde und dessen Zustand sich nicht zuletzt durch das PCT stabilisiert hat. Seine Frau erkrankte zwei Jahre nach seiner Entlassung und ist dann auf der Palliativmedizin in Sinsheim gestorben. Er ist noch immer am Leben, auch wenn er jetzt schwächer wird. Oder die bewegende Geschichte einer Patientin Mitte 40, deren Partner mit ihr auf der Palliativstation einige Wochen gelebt hat. Beide konnten dort noch wenige Tage vor ihrem Tod heiraten. „Die Palliativversorgung ist für alle Beteiligten ein großer Segen. Ich hoffe natürlich, dass Sie diese nie benötigen, aber wenn, dass sie nah und verfügbar ist“, schloss Dr. Köhler ihren Beitrag.
Der Höhepunkt des Abends war dann die Lesung von Gabriele von Arnim, die zunächst ihren Vorrednerinnen dankte: „Ich bin beeindruckt. In meinem Alter ist es ungemein beruhigend zu wissen, dass es Menschen gibt, die so etwas bewegen.“ In den Passagen, die sie dann aus ihrem Buch liest, beschreibt sie sehr berührend, wie ihr Mann aus seinem aktiven Leben als bekannter Journalist gerissen wurde. „Er konnte nicht mehr klar sprechen, nicht gehen, lesen oder gar schreiben und war doch die ganze Zeit bei glasklarem Verstand.“ Sie geht den Fragen nach, wie es ist, mit wachem Geist hinter Mauern zu sein oder was man mit dem Gefühl anfängt, ausgeliefert zu sein. Wie man sich selbst verändert und wie man mit Freunden umgeht, die wegbleiben. Der Grat zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit sei schmal, sagt von Arnim. Sie greift das nigerianische Sprichwort auf: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Auch um einen Kranken zu pflegen, brauche es das. Dann erzählt sie, dass sie eine Gruppe von Vorlesern für ihren Mann engagiert habe. Am Ende seien es 17 gewesen, die ihm Tageszeitungen oder Romane vorgelesen hätten. Er habe das geliebt und jeden Morgen gefragt: „Wer kommt heute?“ Für die Vorleser wiederum wäre so die Kontaktaufnahme einfacher gewesen als wenn sie lediglich Besucher gewesen wären. Sie hätten eine Funktion gehabt und auf diese Weise lernen können, mit einem Kranken umzugehen.
Neben all den Tiefen, dem Schmerz und der Angst beschreibt sie aber auch Momente von Glück und Nähe in dieser Zeit. „Er war unglaublich, weil er sich nicht versteckt hat. Er hat sich immer in seiner Versehrtheit gezeigt und wollte Menschen um sich haben. Und bei alldem ist es ist ihm gelungen, seine Würde zu bewahren.“
Für den 14. Juli ist die dritte und damit letzte Abendveranstaltung unter dem Oberbegriff „Kommunikation am Lebensende“ mit einem Referenten-Duo geplant.