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GRNplus: Was versteht man unter
Eingliederungshilfe?
Ulrike Wüst:
Ziel der Eingliederung ist das Teilhaben am Le-
ben in der Gesellschaft. Bei der Eingliederungshilfe geht es
darum, dass ein Mensch trotz seiner Behinderung – egal ob
körperlich, geistig oder psychisch – sein Leben so leben kann,
wie er es gerne möchte. Der Mensch steht im Mittelpunkt:
Denn es geht darum, den Menschen in den Bereichen, die ihn
behindern, so zu unterstützen, dass er seinem Lebensziel so
nah wie möglich kommen kann. Diese Ziele sind von Mensch
zu Mensch unterschiedlich: Es kann bedeuten, Lesen und
Schreiben zu lernen, vom beschützten Wohnbereich in eine
Außenwohngruppe zu wechseln oder selbst in der Stadt ein-
kaufen zu gehen, ohne Angst zu haben. All das mag für uns
ganz normal klingen, aber für diese Menschen kann das wirk-
lich sehr schwierig sein.
GRNplus: Das heißt, das Ziel ist es,
erst einmal kleine Schritte zu gehen?
Ja, auf jeden Fall. Kern der Eingliederungshilfe ist es, eine
Basis zu schaffen und herauszufinden, wo jemand überhaupt
hinmöchte und was ihn daran hindert. Manchmal wissen es
die Bewohner aber selbst nicht, dann kann das Ziel auch sein,
gemeinsam zu erarbeiten, was man vom Leben erwartet.
Früher wurde in der Arbeit mit behinderten Menschen oft defi-
zitorientiert gearbeitet, das heißt dem Bewohner wurde in den
Bereichen geholfen, die er nicht gut konnte. Das ist aber seit
Jahrzehnten nicht mehr so. Wichtig ist in jedem Fall, dass man
mit den Menschen auf Augenhöhe kommuniziert, sie ernst
nimmt, sie fordert. Das heißt aber auch Grenzen aufzuzeigen
und sie nicht unnötig zu schützen. Es geht darum, kleine
Schritte nach vorne, aus der Komfortzone zu machen, auch
wenn das manchmal bedeutet, etwas auszuprobieren und
gegebenenfalls wieder einen Schritt zurückzugehen, wenn
es doch nicht klappt – wie es eben auch im richtigen Leben
ist. Manche brauchen auch nur am Anfang Unterstützung und
Versorgung, um sich wieder sicher zu fühlen, um im zweiten
Schritt zu sehen, wie es weitergeht. Andere wiederum finden
im Betreuungszentrum ihr Zuhause.
GRNplus: Kann das Betreuungszentrum
denn ein Zuhause sein?
Ja, natürlich. Unser Grundziel ist, dass sich jemand weiterent-
wickelt. Aber manche Bewohner finden hier ihr Zuhause, ihre
Heimat, ihren Platz. Das ist für uns dann auch in Ordnung.
Man schwankt allerdings zwischen zwei Extremen: Man muss
schauen, dass man die Menschen einerseits nicht überfor-
dert und zu schnell zu viel möchte. Man möchte andererseits
aber auch verhindern, dass sich die Menschen einigeln, an
die Versorgung gewöhnen, auf ihrem Stand bleiben und sich
eventuell sogar zurück entwickeln. Eine aktive Anteilnahme
am Leben hier im Betreuungszentrum mit all den Angeboten
ist deshalb wünschenswert. Die Kunst ist es, zu fordern, aber
nicht zu überfordern.
GRNplus: Was bedeutet das für die Mitarbeiter?
Es ist eine Beziehungsarbeit. Man bringt sich mit seiner gan-
zen Person ein – das macht es so schön, aber auch anstren-
gend. Die Grundvoraussetzung ist, die Menschen zu mögen.
Aber man muss auch eine professionelle Distanz wahren
Der
Mensch
steht im
Mittelpunkt
Ulrike Wüst ist seit Juli 2014 die stellvertretende Leiterin des GRN-Betreuungszen-
trums Weinheim. Sie kümmert sich um den Schwerpunkt der Eingliederungshilfe,
eine der zwei Säulen des Betreuungszentrums neben der Pflege. In ihrem Studium
der Sozialarbeit entdeckte sie die „Liebe zu psychisch kranken Menschen – und
sie ist bis heute geblieben“, sagt sie. Im Gespräch mit GRNplus erklärt sie die
Intention der Eingliederungshilfe, die Vorstellung von einem Zuhause und mit
welchen Vorurteilen die Einrichtung immer wieder konfrontiert wird.