GRNplus Juni / 2021
34 zu lassen, und sie gewährt so viel Genuss wie ein Mensch erfassen kann, von Gottes lebendigem Werk der Natur. Mit größtem Vergnügen betrachtet man dessen unglaubliche und abwechslungsreiche Schönheit“, heißt es im „Lob der Medizin“ Melanchthons 1527. Ganz anders die humanistische, eher rationalistisch-kühl anmutende Auffassung bei Erasmus, wenn er zehn Jahre zuvor Vergleiche zwischen Medizin und Theologie anstellt; der Arzt ist für den ganzen Körper verantwortlich; so wie der Theologe mit dieser Sorge bei der Seele beginnt, so beginnt der Arzt beim Körper. Zwar bemüht sich der Theologe um die Bewahrung des Menschen vor der Sünde; ohne den Arzt könnte jedoch kein Mensch bewahrt werden und der Theologe könnte nur ein erfolgloser Arzt der Seele sein, denn was er heilen wollte, hätte den Körper ohne den Arzt längst verlassen. Doch nicht nur aus der Würde des Standes heraus, sondern auch aus der dem Arzt gegebenen Befähigung zur Naturer- kenntnis begründet sich für Melanchthon das Hohelied auf die Medizin. In dieser Wissenschaft „ergötze man sich nämlich nicht, wie in der Malerei, an leeren Schatten und gehaltlosen Bildern von Körpern, sondern man betrachte […] das lebendige Werk der Natur. So geschieht es, dass wir am glücklichsten sind, wenn wir diese Dinge im Überfluss besitzen, am elendesten aber wenn wir ihrer entbehren müssen.“ Darum „glauben alle, die lieber glücklich als unglücklich sind, dass man die Medizin mit allen nur möglichen Mitteln hochhalten muss.“ Die akademische Medizin in der Zeit des Humanismus wurde keineswegs durchgängig als hoch zu lobende Disziplin ange- sehen. Der Konkurrenzdruck einer Vielzahl medizinischer Heil- berufe war erheblich und die praktischen Fähigkeiten gerade der jungen unerfahrenen Ärzte galten eher als zweifelhaft, wenn nicht sogar als gefährlich. Einer der ersten Humanisten, der mit diesem allgemeinen Trend bricht, war der Straßburger Gelehrte Erasmus von Rotterdam (ca. 1466-1536). Erasmus hatte in seiner berühmten „Rede zum Lob der Medizin“ (1518) die Existenzberechtigung und Bedeutung der Medizin in der Gruppe der „Humanistischen Studien“ aus den antiken Quellen heraus begründet und betont. Das „Lob der Medizin“ ist ihm intellektuelle Pflicht; jede Kritik an der Medizin verwirft sich durch die Bedeutung der Kunst aus sich selbst, oder besser aus dem, was ihre Würde („dignitas“) wesentlich ausmache, aus ihrem hohen Alter („antiquitas“). Wer dies nicht anzuerkennen vermag, vergeht sich an einem Grundprinzip humanistischer Wissensbildung und ist damit im klassischen Sinne „stultus“, töricht also, dumm und einfältig. Durch das „laus artis medicae“ hat Erasmus die akademische Medizin seiner Zeit, die von ihm selbst noch 1511 im „Lob der Torheit“ scharf kritisiert worden war, unter der Voraussetzung reha- bilitiert, dass sie sich als humanistische Disziplin, als wahre Wissenschaft aus dem Geist der Antike, bewähre. „Pflicht des Glaubens und der Frömmigkeit“ Dem Wittenberger Reformator Philipp Melanchthon (1497- 1560) aus Bretten hingegen ist die Missachtung der Medizin nicht nur Dummheit („stultitia“), sondern vor allem „impietas“ (Unfrömmigkeit). Zur gläubigen Pflege ihres Studienfaches ermuntert Melanchthon die Studenten der Medizin, die durch solchen Dienst erst zu „herausragenden Jünglingen“ („optimi adolescentes“) werden, weil ihre Disziplin durch göttliche Lobpreisungen in der Heiligen Schrift geschmückt und anempfohlen ist. Medizin ist für Melanchthon Gottesdienst, Achtung und Pflege göttlicher Ordnung auf Erden. Das Lob der Medizin ist Melanchthon im Gegensatz zu Erasmus nicht nur intellektuelle Pflicht, sondern vor allem Pflicht des Glaubens und der Frömmigkeit. Die Medizin ist ihm sogar grundlegend für die Betrachtung von Gottes Schöpfung: „Von Gott ist den menschlichen Belangen nichts besseres, nichts schöneres und bedeutenderes zuteil geworden als die Medizin. Sie ist der verlässlichste Weg, um etwas in hellerem Licht erscheinen Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart ist emeritierter Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Für GRNplus beleuchtet er einige Meilensteine der Medizin etwas genauer. Dieses Mal geht es um die Bedeutung der Medizin bei Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon. Meilensteine der Medizin Medizin im Aufbruch des Humanismus F o t o : J u d i t h E c k a r t Die Kupferstiche von Albrecht Dürer (1471-1528) zeigen Erasmus von Rotterdam (rechtes Bild) und Philipp Melanchthon . Fotos: Bildarchiv IGMHD
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