GRNplus Oktober / 2018
In Westeuropa entwickel- ten sich im Frühmittelalter die christlichen Klöster zu den wichtigsten Orten li- terarischer und kultureller Pflege. Hier wurden auch die überlieferten medizini- schen Texte aus dem Griechischen ins Latei- nische übersetzt und immer wieder mühsam abgeschrieben. Von An- fang an trugen die Klostergemeinschaften auch für die Gesund- heit ihrer Mitglieder und der ihnen nahe stehenden Laien Sorge. Bereits die von Benedikt von Nursia (ca. 480 - 547) verfassten Benediktinerregeln, die bald für alle westlichen Klöster galten, verfügten auch die Verantwortung des Klosters für alle Kranken in seinem Einflussbereich. Die Benediktinerregel schrieb für je- des Kloster Heil- und Pflegebereiche vor. Den schönsten Beleg für den idealtypischen Entwurf einer solchen Anlage liefert der Konstruktionsplan des Klosters St. Gallen aus dem 9. Jahrhun- dert. Er umfasst unter anderem Infirmarien, Krankensäle, für Novizen und Mönche, eine Küche und ein Bad für Kranke, einen Kräutergarten, Heilräume und ein Haus für den Aderlass. Klöster als Zentren antiker Textüberlieferung Eines der wichtigsten Zentren, auch für die medizinische Textüber- lieferung aus der Antike, war das Kloster Monte Cassino, die Keim- zelle des Benediktinerordens. Dort wurden die Schriften des Hippo- krates und des Galen oder das Kräuterbuch des Dioskurides aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt, studiert und vervielfältigt. Monte Cassino wirkte als Vorbild. In Reichenau fasste Abt Walafried Strabo (808-849) in seinem Hortulus die Kräuterlehren des Dioskurides und des Plinius zusammen, im englischen Kloster Wearmouth schrieb Beda Venerabilis (672/73-735) über Aristoteles und über Seu- chen und Wunderkuren. In Deutschland befasste sich der Abt des Klosters Fulda, Hrabanus Maurus (780-856), mit den alten medizinischen Texten. Wohl den Novizen des Klosters war die Übersetzung anatomischer Begriffe ins Althochdeutsche gewid- met, die uns heute noch verständlich sind: Splen ist die miltzi, stomachus der mago, venter die hwamba, pulmon die lungun, vertex ist das scheitilun. Hildegard von Bingen Die bedeutendste Frau der Klostermedizin war zweifellos Hilde- gard. 1086 in Bermersheim bei Alzey geboren zog sie 1147/50 mit ihren Schülerinnen in ihr Kloster Rupertsberg an der Nahe, wo sie in den folgenden Jahrzehnten ihre Wirksamkeit als Mysti- kerin, Naturforscherin und Klostermedizinerin, als „Meisterin vom Rupertsberg“, bis zu ihrem Tod 1179 entfaltete.Ihre späte Heilig- sprechung erfolgte durch Papst Benedikt XVI. am 10. Mai 2012. Hildegards Schriften von der Natur des Menschen (Physica) und von den Ursachen und Heilungen (Causae et Curae) beschrei- ben die Natur nach heilkundlichen Gesichtspunkten und stellen die wichtigsten Medikamente der Zeit vor. Grundlagen lieferten Fauna und Flora der rheinpfälzischen Region, die Hildegard offensicht- lich selbst studiert hatte. In beide Bücher sind aber auch antike Me- dizinkenntnisse eingegangen, die Hildegard durch die klösterliche Textüberlieferung zur Verfügung gestanden haben dürften. Meilensteine der Medizin Schriften sichern & Leiden lindern Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart ist emeritierter Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg. Für GRNplus beleuch- tet er einige Meilenstei- ne der Medizin etwas genauer. Dieses Mal geht es um die klöster- liche Medizin des Mit- telalters und um eine bedeutende Frau. 32 Kräuter, Mineralien, Schröpfkopf und Buch: In der Klösterlichen Erfahrungsmedizin des Mittelalters waren neben der Diätetik und dem Aderlass vor allem der Einsatz von Heil- kräutern und Mineralien wichtig. Foto: Eckart Die Vision der Hildegard. Der Heilige Geist fließt in sie ein. Hildegard ist umge- ben von Mönch Volmar und Schwester Richardis (Buchmalerei des 13. Jahrhun- derts). Foto: Bildarchiv IGEM Heidelberg
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