GRNplus April / 2019
32 DieAusübung der Chirurgie war imMittelalter den Wundärzten, Badern, Barbieren und Handwerkschirurgen vorbehalten. Sie hatten nach einer Lehre die Gesellenprüfung abzulegen und durften danach unter Aufsicht akademischer Ärzte praktizieren. Das Konzil von Tours (1163) und das IV. Laterankonzil (1215) hatte den Ärzten, die meist der Weltgeistlichkeit angehörten, das Recht zur chirurgischen Betätigung und sogar der medizi- nischen Arbeit insgesamt abgesprochen. Die Geistlichen sollten sich wieder vorwiegend auf ihre kleri- kalen Aufgaben konzentrieren. Durch die Konzilsbeschlüsse vollzog sich die Trennung von Medizin und Chirurgie im christli- chen Mittelalter, während eine solche Trennung im arabischen Mittelalter nicht existierte. Gleichzeitig wurde durch sie der Ausbau der weltlichen universitären Schulmedizin gefördert. Hauptaufgabe der Wundärzte, Bader und Barbiere war die Versorgung äußerer Wunden, der Aderlass und das Schröpfen, das Klistieren oder auch das Erbrechen lassen. Hinzu trat die Versorgung äußerlich erkennbarer Leiden wie Abszesse, Geschwüre, Hämorrhoiden, Krampfadern. Eiternde Wunden wurden begrüßt oder durch Einlegen von Fäden sogar hervorgerufen, weil man den Eiterfluss für reinigend hielt. Spezialisten stachen auch den grauen Star, operierten Blasensteine oder behandelten Eingeweidebrüche. Die Chirurgie des inneren Bauchraums aber – etwa beim Kaiser- schnitt – und des Brustkörpers blieb ausgespart, es sei denn, sie diente der Versorgung schwerster Wunden, an denen die armen Patienten doch meist verstarben. Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart ist emeritierter Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Für GRNplus beleuchtet er einige Meilensteine der Medizin etwas genauer. Dieses Mal geht es um die Chirurgie im westlichen Mittelalter. Der Henker als Fachmann Amputiert wurde dagegen viel, besonders bei Wundbrand oder nach schweren Verletzungen der Extremitäten. Geschickte Chirurgen konnten etwa einen Oberschenkel in wenigen Minuten mit Messer und Säge absetzen und die blutende Wundfläche danach mit dem Brenneisen verschorfen. Aber auch hier waren die Überlebensraten nicht hoch. Das Einrenken oder Schienen ausgekugelter oder gebrochener Extremitäten fiel hingegen gar nicht selten in den Arbeitsbereich der Henker. Wer sich durch Erfahrungen bei den oft grausamen Quälereien vor Hinrichtungen mit der Entstehung von Extre- mitätenverletzungen auskannte, war als Spezialist auch für deren Versorgung gefragt. Ganz abgesehen davon, dass bei ‚peinlichen Befragungen’ unter Folter der Delinquent ja nur gequält, nicht aber getötet werden sollte, und für den nächsten Tag der Folter wieder herzurichten war. Insgesamt darf das Geschick der Wundärzte in einer Zeit ohne Narkose und ohne keimfreies Operieren nicht unterschätzt werden. Es gab unter ihnen zweifellos Scharlatane, aber die meisten verstanden doch ihr Handwerk exzellent und kannten sich auch in der Anwendung von Wundsalben, Pflastern oder beim Anlegen oft komplizierter Verbände sehr gut aus. Akademisch ausgebildete Ärzte hielten sich von allen hand- werklich-chirurgischen Tätigkeiten fern. Sie beschränkten sich auf Anamnese, Patientengespräche, Urinschau, Puls- fühlen, auf manuelle Untersuchungen und die Verordnung von Diät und Arznei. Meilensteine der Medizin Ganz links zeigt ein Aderlass-/Tierkreismännchen. Der Aderlass sollte nur im Einklang mit den Kräften des Kosmos durchgeführt werden. Bader und Wundarzt waren neben Aderlass (mittig) auch für das Schröpfen (rechts) zuständig. Die Bilder stammen aus einem sehr populären kolorierten Holzschnitt des Jahres 1500, der als Flugzettel weit verbreitet war. Fotos: Bildarchiv InstGeschMed HD Vom Aderlass , Schröpfen und Co.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDY3NDc=