GRNplus April / 2018
Seuchen haben die Mensch- heit schon immer dramatisch bedroht und dahingerafft. Im kollektiven Gedächtnis unse- rer Zeit erinnern wir uns andie großen Grippeepidemien des 20. Jahrhunderts und die Immun- schwächekrankheit AIDS. Chole- ra und Tuberkulose, obwohl immer noch bedrohlich existent, nehmen wir hierzulande allerdings kaum noch als mörderische Infektionen wahr. Und an die Pest denkt heute kaum ein USA- oder Ostafrika-Tourist, obwohl sie gerade dort mancherorts noch begrenzt auftreten kann. Pestzüge mit unvorstellbar hohen Opferzahlen hat es in der Antike in großer Zahl gegeben. Allerdings wissen wir keines- wegs, ob es sich dabei wirklich immer um die gefährliche In- fektionskrankheit mit dem Erreger Yersinia pestis , also um eine wirkliche Pest, gehandelt hat. Viele Epidemien bedroh- ten die Völker der Antike. Und Mittel, sich derer zu erwehren, gab es nicht. Dies galt für die berühmte „Pest“ der Athener (430–425 v. Chr.), über die Thukydides so ausführlich berich- tet hat, ebenso wie für die „Pest“ in der Herrschaftszeit des An- toninenkaisers Marc Aurel im Sommer des Jahres 165 n. Chr.; woran die Menschen dieser denkwürdigen Seuchen wirklich gelitten haben und gestorben sind – an den Pocken, an Thy- phus, Fleckfieber oder Grippeviren, um nur einige mögliche Krankheiten zu nennen –, das lässt sich nicht mehr ermitteln. Die Justinianische Pest Anders verhält es sich inzwischen mit der nach der Regie- rungszeit des byzantinischen Kaisers Justinian benannten „Justinianischen Pest“. Über diese schlimme Seuche, die etwa ab 541 n. Chr. den gesamten Mittelmeerraum heimsuchte, sind wir aus Augenzeugenberichten und vielen anderen Quellen gut unterrichtet, obwohl sich die Ärzte darüber ausschwiegen. Aus den Berichten des Geschichts- schreibers Prokop von Kaisareia wissen wir, dass die Seuche wohl im ägyptischen Pelusion (südlich des heutigen Port Said) ausbrach und sich mit dem blühenden Schiffsverkehr schnell über den ganzen Mittelmeerraum ausbreitete. Unter den verschiedenen Formen der Krankheit beschrieb Prokop auch eine mit den pesttypischen Beulen in Achsel und Leiste, was später auf die Beulenpest schließen ließ. Eine Strafe Gottes Allgemein hielt man die Krankheit für eine „Züchtigung“ der Menschheit oder des „frevelhaften“ Justinian und seiner Gat- tin Theodora (Prokop). Die von Zeugen benannte anfängli- che tägliche Todesrate von 1000 Menschen dürfte wohl eher symbolisch gemeint gewesen sein. Tatsächlich ist wohl aber von einigen Millionen Opfern auszugehen, weil die Seuche das ganze byzantinische Großreich und seine Nachbarrei- che betraf und periodisch bis ins 8. Jahrhundert immer wieder aufflackerte. Auch scheint es, dass ihr über die Jahrhunderte besonders Kinder und Jugendliche zum Opfer fielen, die offen- sichtlich nicht immun waren. Ob der Pest neben den demographischen auch politische Wir- kungen zuzuschreiben sind, ist letztlich nicht mehr zu klären. Im Bereich der Paläopathologie werden alte Krankheiten er- forscht – und als paläopathologisch gesichert darf inzwischen gelten, dass ein Erreger-Typ vom Stamm Yersinia pestis an der Justinianischen Pest zumindest prominent beteiligt war. Meilensteine der Medizin Erste große Pestwelle erschüttert Europa Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart ist emeritierter Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg. Für GRNplus beleuchtet er einige Meilensteine der Medizin etwas genauer. Dieses Mal geht es um den „Schwarzen Tod“ im frühen Mittelalter: die Justinianische Pest. 32 Kaiser Jus- tinian auf zwei Münzen (Konstanti- nopel, Karthago) seiner Regierungszeit. Fotos: Privatbesitz Eckart
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDY3NDc=